Vielleicht liegt es am Nebel. Davon jedenfalls gibt es in London auch um 1870 herum genug, und wer weiß, vielleicht trübt er der Stadt kollektiv die Sinne. Kaum einer, der nicht dem Medium seiner Wahl vertraut, um in schummrigen Séancen mit dem Jenseits zu parlieren. Florence Cook ist das It-Girl der Branche – streng verschnürt im Schrank bringt sie die aufregendste aller Erscheinungen zutage: Katie, 200 Jahre jung und in gleißendes Weiß gewandet, früher Piratentochter, heute eine unruhige Seele auf der Suche nach Erlösung. Oder …? Ein Fall für Sir William Crookes, der Florence (und Katie) nach den Regeln der damaligen Kunst unter die Lupe nimmt – nur um am Ende erschöpft zu konstatieren, dass die Wissenschaft im Grunde auch nur ein Spuk ist. Eine herrlich übersinnliche Geschichte, und das Beste: Es ist alles wahr. Wirklich.
Beim zweiten Lektüreversuch kam ich leichter über die Hürde des mir unverständlichen naturwissenschaftlichen Geplänkels. Diese Szenen versuchte ich nun gar nicht mehr zu verstehen, sondern konzentrierte mich auf die Figuren, das Milieu und das „Medium“ Florence Cook.
Das liest sich vor allem deshalb sehr unterhaltend, weil im Hintergrund immer die viktorianischen Moralvorstellungen mitklingen. Die Entfesselungskünste der schlangenfrauartigen Florence werden so vorgeführt, dass es schon etwas Voyeuristisches hat. Aber da sie ja ein Medium ist, ein zudem zutiefst religiöses, wird ihr „Wirken“ nicht als anstößig empfunden. Der Leser sieht aber in den Kopf Florence‘ und weiß es besser, denn sie träumt von Mr Blackwood, der es als einziger versteht, sie wirklich sehr, sehr fest zu fesseln (Ich brauche, verzeihen Sie, gar keinen Gott. Ich brauche nur gute Stricke.). Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Und währenddessen wagt ein anderer Protagonist, der Wissenschaftler Crooke, es nicht, seine Frau, deren Bauch sich zum achten Mal rundet, zu fragen, wann das Kind zur Welt komme. So etwas gehört sich nämlich einfach nicht. Und dann überlässt ihr der Herr Wissenschaftler – darüber sinnierend, ob Frauen so etwas wie Langeweile kennen – ein Klümpchen Quecksilber zum Zeitvertreib... Aber spielt das noch eine Rolle, wenn sich ohnehin alle mit opiumhaltigen Medikamenten zudröhnen und in der Wandfarbe Arsen enthalten ist?
Und dann ist da die titelgebende Katie, die Florence erscheint: Geist aus dem 17. Jahrhundert, Piratentochter, Ergebnis einer Vergewaltigung, androgynes Wesen, Mörderin. Wenn sie einen Lebenden des 19. Jahrhunderts verführt, ist das so wunderbar ironisch, indirekt beschrieben, dass es eine Wonne ist...Er [der Geist] erfreute ihn, wie sich Pratt bislang nur selbst erfreut hatte
Doch lässt sich überhaupt sagen, ob der Spuk echt ist, wenn ständig alle zugedröhnt sind und ihre unterdrückte Sexualität sublimiert werden muss? Und währenddessen streift Crookes schwangere Frau ruhelos durch ihr Haus, als sei sie der eigentliche Geist.
Ich empfinde dieses in London spielende Buch als so englisch, dass ich beim Lesen manchmal dachte: „Wie lautet dieses Passage wohl im Original“, um mich dann immer wieder daran erinnern zu müssen, dass es auf Deutsch geschrieben wurde. So etwas passiert mir selten und zeigt wohl, wie gut Wunnicke den Ton dieser Zeit und dieser Milieus trifft.
Fazit: Ein unglaublich amüsant zu lesendes, kluges Buch. Und am Ende lassen sich sogar Fortschritte verzeichnen: für die Wissenschaft und für die Frauen. Dass sowohl das Medium als auch der Wissenschaftler auf reale Personen zurückgehen, kann man fast nicht glauben, aber so ist es.
Dank an Michael, der mich veranlasst hat, es noch einmal zu versuchen!
Um 1870 kreuzen sich in London zwei Parallelen im Unendlichen: Der Wissenschaftler William Crookes erhält den Auftrag, ein Gutachten über das Medium Florence Cook zu fertigen (die Namen kombiniert könnten Crook ergeben, ein Schelm, wer Böses dabei dächte, und es ist doch nur eine Ironie des Schicksals). Kann es sein, dass Katie, Piratentochter, Kinds- und Männermörderin, tatsächlich eine ektoplasmatische Hervorbringung ist, die Florence erzeugen kann, wenn sie gefesselt in einem Schrank liegt?
(Katie King, fotografiert von William Crookes)
Man sollte meinen, dass die Erscheinung sogleich als Schwindel enttarnt wird, aber genau das ist nicht der Fall. Christine Wunnicke gelingt es meisterhaft darzustellen, wie es ausgerechnet der Stand der Wissenschaft ist, der dazu beiträgt, dass Katie nicht nur in den Köpfen der Viktorianer, sondern auch auf der Bühne herumspukt und schließlich sogar den Sprung über den großen Teich schafft (hiervon berichtet der Roman allerdings nichts).
William Crookes ist dem vierten Aggregatzustand auf der Spur, der noch keinen Namen hat und den wir heute wohl allgemein als Strahlung bezeichnen. Dass Licht Teilchen= und Welleneigenschaft hat ist damals noch nicht bekannt und ein Mysterium, das viel Raum für Missverständnisse und für metaphysisch anmutende Überlegungen bietet: „Wir müssen ein Universum zu imaginieren versuchen, in dem das Kleinste nicht das Kleinste und das Größte nicht vorhanden ist“, konstatiert Crookes. Auch wenn er selbst nicht mehr die Früchte seiner Forschungen ernten wird, an ihrem Ende steht die Entdeckung des Röntgenstrahls und die Erkenntnis, dass das Atom nicht unteilbar ist (einstweilen ist noch vom „lichttragenden Äther“ die Rede und von der „psychischen Elektrizität des Mediums). Für Crookes führt kein gerader Weg zu diesem Ziel. Auch wenn es ihm nicht gelingt, Spektralfarben mit einem Magneten abzulenken, wird er selbst doch von der geheimnisvollen Florence Cook mächtig von seinem Weg abgebracht. Die junge Dame hat dabei fest ein Ziel vor Augen, das sie mit Crookes teilt: Sie möchte berühmt werden und den einfachen Verhältnissen und der Armut entkommen wie vor ihr schon das präraffaelitische Supermodel Elizabeth Eleanor Siddall. Beiden Frauen ist auch gemein, dass sie in gewisser Weise Tote heraufbeschwören und ihren eigenen Körper als Pfand einsetzen müssen. Damit Crookes das Gutachten über Florence / Katie ungestört schreiben kann, zieht diese bei ihm ein und bringt einen fünften Aggregatzustand in den Haushalt: den des Begehrens. Ein Viktorianer spricht nicht über Sex und alles mögliche ebenfalls Unnennbare, aber was zunächst noch als erotischer Subtext mitschwingt (Fesselung der jungen Frau, unausgesprochenes Begehren), wird „verkörpert“ (!) durch Katie schon bald handfest. Ob der Gehilfe Pratt, ob Crookes Ehefrau, sie alle teilen bald das Bett mit Katie, die bald mehr Mann, bald mehr Frau ist (sehr interessant auch vor dem Hintergrund, dass solch ein Rollentausch auch oft bei Shakespeare vorkommt und in Viginia Woolfs ORLANDO seinen vielleicht prominentesten Vertreter findet). Ach, und der arme gequälte Pratt, ihm geht bei seinem Abenteuer mit dem Succubus die Formel "p-strich gleich p plus df durch dt" durch den Kopf, die ja fast eine wissenschaftliche Formel für Sex sein könnte, wenn man für „p“ das männliche Zeugungsorgan setzen wollte, bildhaft käme dann der Strich hinzu … aber lassen wir das und begnügen uns mit der Formel der erhitzten molekularen Raserei. Wissenschaft, Erotik und Verzauberung gehen Hand in Hand und, um das Maß voll zu machen, ergänzt um einen fortwährender Chlorodyne=Rausch (Opium plus weitere berauschende Ingredenzien), dem zunächst nur Florence, bald aber auch Crookes frönt. Florence wird zum gefeierten Superstar mit öffentlichen Auftritten, an denen Crookes, seine Frau und der treue Famulus teilnehmen. Bei ihnen wird der fast unverhüllte Körper Katies zur Projektionsfläche für Trost, Begehren und Erkenntnis; ein Spektakel erster Güte, das kaum noch zu toppen ist.
(Katie King, Florence Cook und William Crookes)
Geist(er)reich & humorvoll „entstellt“ Christine Wunnicke in KATIE die Lebensgeschichten von Florence Cook, William Crookes und allen anderen Beteiligten „auf das Respektloseste“ (die Worte der Autorin selbst), so dass aus der wahren Geschichte ein höchst amüsant zu lesender Roman geworden ist.
Vor kurzem habe ich ein Buch gelesen, das der Frage nachgeht, wie es dazu kam, dass Arthur Conan Doyle, ein Anhänger und Vertreter strikter Wissenschaftlichkeit, im Alter an Geistererscheinungen glaubte und Fotos von Elfen machte (Spuren, Elfen und andere Erscheinungen. Auch Crookes lichtete Florence zusammen mit ihrer Materialisierung ab, ein wirklich interessantes Phänomen: Wissenschaft und Vernunft treffen mit Aberglaube zusammen. Christine Wunnicke hat die Bedingungen dieser Wechselwirkung großartig dargestellt und keine der physikalischen Erörterungen ist überflüssig, sondern alles an seinen Platz gerückt.
Stellt die Fortschritte in der Wissenschaft dem zunhemenden Aberglauben im England des 19. Jh gegenüber. Die Sprache changiert dabei zwischen wissenschaftlich-spezifisch und skurril-theatralisch. Solide und souverän, hätte jedoch etwas mehr Auserzählung vertragen. So bleibt es bei einem etwas übereilten, historischen Lehrstück.
J'avais envie de lire le livre car il revenait sur un cas de jeune fille spirite, à Londres pendant l'époque victorienne, qui fut analysée par des scientifiques afin de prouver si les apparitions étaient avérées ou non. Au final, le livre est très bref, plutôt sur un ton satirique, assez théâtral, très librement inspiré de cette histoire vraie, et dont le centre n'est pas vraiment l'occultisme et son traitement scientifique, mais plutôt une simple comédie légère et superficielle.
Nach dem Lesen von "Katie" bin ich irgendwie traurig. Ich hatte mich so sehr auf das Buch gefreut, aber leider hat es mich überhaupt nicht berührt. Die Thematik rund um das Zusammenspiel von Spiritismus und Wissenschaft im 19. Jahrhundert ist eigentlich total spannend, aber Christine Wunnicke hat es leider nicht geschafft, mich zu packen. Ihren Figuren konnte ich nicht nahe kommen, sie blieben blasse Skizzen. Dabei hätte mich so sehr interessiert, warum etwa Florence unbedingt berühmt werden will und wie sie zu ihren medialen Fähigkeiten steht. Auch Mr. Pratt scheint ein spannender Charakter zu sein und die Geistererscheinung Katie sowieso. Doch irgendwie bleibt alles nur im Wagen, das ganze Buch fließt vorbei als wäre es selbst ein Geist. Auch den so viel gelobten Humor habe ich nicht finden können. Immerhin war das Buch kurzweilig und die Sprache interessant. Es las sich wie ein Roman, der im 19. Jahrhundert geschrieben wurde, dadurch aber leider auch eine gewisse Distanz entstehen lässt. Sehr schade, ich hatte auf jeder Seite gehofft, zwischen mir und dem Buch baut sich noch eine Beziehung auf. Leider war dem nicht so. Wir trennten uns als flüchtige Bekannte.